Einleitung:
Dieser Gebäudekomplex, erbaut im Jahre 1890, wurde von dem Architekturbüro Sigrid Morawe-Krüger BDA, bearbeitet. Er ist das typische Beispiel für ein Bauwerk der Gründerzeit: Massive
Mauerwerksweise mit ziegelsichtiger Fassade. Solidität war damals gefragt. Die Außenwände sind bis zu 70 cm dick. Spitzbogenfenster erinnern an die Gotikbegeisterung der Kaiserzeit um 1890.
Historie:
Die Inschrift an der Außenfassade des Hauses St.-Annen-Straße 1 "Die wahre Tugend ist, daß jeder jede Frist das redlich thut, wozu er taugt und tüchtig ist." war das Motto der damals
vorbildlichen Einrichtung für "überhaupt alle der öffentlichen Armenpflege anheimfallenden Personen" und "freiwillige Arbeiter, welche körperlich nicht mehr rüstig sind". Heute würden wir sagen:
Nutze die Möglichkeiten, die in dir stecken! Zur Eröffnung des großen, neuen Armen-Arbeitshauses können wir aus den Berichten in der Ausgabe der Lübeckischen Blätter vom 12. Oktober 1890
Folgendes entnehmen:
Im Erdgeschoss des großen Eckhauses St.-Annen-Str. 1, wo sich heute das Kultur- und Stadtteilcafé befindet, lag damals ein mit Schaufenstern versehener Verkaufsladen. Dort konnte man die von der
Anstalt hergestellten Gegenstände aller Art erwerben, vor allem die Produkte von Schuhmachern, Schneidern, Bürstenbindern, Mattenflechtern, Webern und Tischlern. Weiter erfahren wir, dass sich in
den Erdgeschossen des anschließenden Flügelbaus (Stavenstr. 2, 4 und 4 A) kleinere Krankensäle befanden, wo "sieche Frauen und Männer" gepflegt wurden. Es folgte ein großer Arbeitssaal, wo emsig
geflochten, geschustert, geschneidert und gewoben wurde. Es schlossen sich Speisesäle (Männer und Frauen getrennt!) und der große Küchenflügel an, wo sich große Koch-, Dampf- und Bratherde
befanden. Die anschließende geräumige Waschküche war damals auf dem neuesten Stand der technischen Ausrüstung. Es gab Einweichbottiche, Dampfbottiche, Handwaschbottiche, Handwaschmaschinen,
Wäschezentrifugen, Trocken-, Bügel- und Mangelapparate.
Im 1. Obergeschoss befand sich ein großer Arbeitssaal, wo getischlert und gehämmert wurde, und wo Männer an 14 Hobelbänken sägten. Es folgten weitere Krankenzimmer, Schlafsäle und Waschräume für
Männer. Weiter die Treppe hinauf ins 2. Obergeschoss: ein Schlafsaal, Wasch- und Baderaum für Frauen. Anschließend ein mit Aufzugswinden versehener Vorratsboden sowie große Räume, in denen
obdachlose Familien untergebracht werden konnten, allerdings nach Geschlechtern getrennt. Noch 1930 sind in der Einrichtung, inzwischen heißt die alte "Armenanstalt" etwas freundlicher
"Versorgungsheim", 170 hilfsbedürftige Männer und 15 Frauen untergebracht. 1942 wurde das Dachgeschoss durch einen Luftangriff zerstört. Später wurde es in einer anderen Form, ohne Mansardendach,
mit einem leicht geneigten Flachdach neu erstellt. Nach 1950 wurde der Komplex als Sozialamt hergerichtet und bis 1998 in dieser Form genutzt.
Heute:
Der besondere Schwerpunkt für diesen Bereich war die Integration von behindertengerechten und barrierefreien Wohnungen innerhalb dieses Wohnprojektes. Mehrere Praxiseinheiten, eine Büroeinheit,
das Stadtteilcafé und der Gemeinschaftsraum des Aegidienhofvereins wurden ebenfalls in dieses Gebäude mit eingebunden. Die Flächen der Wohneinheiten überwiegen in diesem Gebäudekomplex, da es
sich von der Bauart sehr gut für die Realisation von behindertengerechten Wohneinheiten unter Hinzufügung von neuen Balkonen eignete.
Alt und Jung unter einem Dach - generationsüber- greifendes Wohnen. Dieses Thema bewusst in die Planung und Realisierung aufnehmen heißt nicht nur, Menschen verschiedener Altersgruppen in
Projekte einzubinden und die Größe von Einheiten abzustimmen, sondern vielmehr besonderen Wert auf die altersspezifischen Erfordernisse, sowohl im baulichen, als auch im inhaltlichen Bereich zu
legen.
Familien, Kindern, alleinstehenden Personen und vor allem Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen, ist die Grundlage für die Verwirklichung eines differenzierten sozialen
Mehrgenerationenprojektes. Den Planern und Eigentümern ist es gelungen, eine gute Mischung aus kleinen, großen, altersgerechten und behindertengerechten Wohnungen zu schaffen. In dem hier
gezeigten Gebäudekomplex dieses Areals, konnten insgesamt 2.400,00 qm Wohn- und Nutzfläche verteilt auf 30 Einheiten realisiert werden. Durch den Einbau von 2 Fahrstühlen konnte ein erheblicher
Teil rollstuhlgerecht, bzw. barrierefrei ausgeführt werden. Ein Gemeinschaftsraum, angegliedert an eine Gastronomie, ist ein Treffpunkt für private und auch öffentliche Veranstaltungen. Hier wird
"Kultur" und "Soziales" gleichermaßen gelebt und erlebt. Eine gemeinschaftliche neu ausgeführte Dachterrasse trägt ebenfalls zur Kommunikation der BewohnerInnen bei.
Die neuen Balkone schaffen für den eher kasernenartigen Bautyp aus dem Jahre 1890 eine zusätzliche Wohnqualität und eine Beziehung zwischen Außen- und Innenbereich.
Weitere Informationen erhalten Sie vom Architekturbüro Sigrid Morawe-Krüger, Dipl.-Ing. Architektin BDA sigrid.morawe-krueger@freenet.de.